Durch die Digitalisierung hat sich die Arbeitswelt radikal gewandelt. Auch in puncto Vorstellungsgespräch. Schließlich versprechen neue Matching-Technologien den richtigen Bewerber ganz einfach per Mausklick.

Hat das Vorstellungsgespräch also endgültig ausgedient? Nein, ist Marlene Pöhlmann überzeugt und verrät im Interview, warum das persönliche Gespräch unersetzbar ist – Unternehmen jedoch umdenken sollten.

Marlene, neue Matching-Technologien versprechen den passenden Bewerber auf einen Klick. Wie muss ich mir das vorstellen?

Der Begriff Matching bedeutet allgemein, dass die Anforderungen einer Stelle mit dem Bewerberprofil auf Übereinstimmung abgeglichen werden - um so am Ende den idealen Kandidaten zu finden.

Neue Technologien sorgen dafür, dass dieser Prozess automatisiert abläuft: Zum Beispiel analysieren intelligente Algorithmen Lebensläufe und Ergebnisse psychologischer Tests.

Oder sie gleichen anhand vorprogrammierter Auswahlregeln Bewerberdaten ab, erstellen Profile und geben daraufhin Empfehlungen. Das soll den oftmals viel zu langen Recruiting-Prozess effizienter und kürzer machen.

Das leuchtet mir ein. Du führst bei Robert Half schon knapp sieben Jahre täglich Bewerbungsgespräche. Brauchen Unternehmen, die diese Matching-Technologien nutzen, künftig das klassische Vorstellungsgespräch überhaupt noch?

Natürlich ist es wichtig, Recruiting-Prozesse zu beschleunigen und so effizient wie möglich zu gestalten. Jedes Unternehmen will und muss Kosten sparen.

Allerdings leisten digitale Matching-Technologien eine entscheidende Aufgabe nicht: Durch automatisierte Prozesse lernen Unternehmen die Persönlichkeit und vor allem das Potenzial eines Bewerbers nicht kennen.

Einen Mitarbeiter zu finden, der toll auf die Stelle aber auch ins Team passt, dazu gehören mehr als nur fachliche Skills. Kurz gesagt: Es geht nicht um Lebensläufe, sondern um den Menschen dahinter. Und den kann ich nur kennenlernen, wenn er mir gegenübersitzt.

Und welchen Vorteil bietet dafür das Vorstellungsgespräch?

Das Bewerbungsgespräch bietet die einmalige Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck zu machen. Hier finden Unternehmen heraus: Was bewegt den Bewerber? Was treibt ihn an? Wofür brennt er?

Auch Blickkontakt, Mimik und Gestik zeigen sich nur im gegenseitigen Gespräch. Es geht darum, sein Gegenüber zu beobachten, zu verstehen und zu lesen – auch zwischen den Zeilen. Potenzial erkennen, das geht nicht über Tools oder am Telefon.

Einige Experten sehen das mit dem persönlichen Eindruck sehr kritisch. Jason Dana, Assistenzprofessor an der US-Eliteuniversität Yale, schrieb in einem Gastbeitrag in der „New York Times“: Personaler würden ihre Fähigkeit überschätzen, Bewerber richtig einzuschätzen. Wie siehst Du das?

Klar besteht die Gefahr, dass im persönlichen Bewerbungsgespräch bestimmte Eigenschaften eines Bewerbers dominieren und zu einem falschen oder verzerrten Gesamteindruck führen.

Deshalb ist es wichtig, objektiv zu bleiben – sich das Potenzial, das der Bewerber für die Stelle und das Unternehmen mitbringt, vor Augen zu halten.

Dabei hilft es, kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren, wie der Bewerber reagiert hat, wie er mit bestimmten Herausforderungen umgegangen ist und was er selbst für Pläne hat.

Besteht hier nicht das Risiko, dem Bewerber den Job zu geben, der einem sympathischer ist?

Ich sehe solch eine subjektive Einschätzung vor allem als Chance. Es geht ja darum, sich einen Menschen auszusuchen, mit dem man zusammenarbeiten möchte. Und dabei ist es entscheidend, gut miteinander zu kommunizieren.

Wenn sich im Gespräch ähnliche Herangehens- und Denkweisen herauskristallisieren, ist das ein Zeichen dafür, dass die Zusammenarbeit später gut klappt und beide Seiten zufrieden sind.

Das fachliche Know-how kann noch so gut sein, im Arbeitsleben wird es in gemeinsamer Kommunikation angewendet. Ohne Zwischenmenschlichkeit funktioniert das nicht. Und die geht eben über Bauchgefühl – das passen muss.

Warum gelingt es Unternehmen trotz des persönlichen Vorstellungsgesprächs nicht immer, den richtigen Kandidaten einzustellen?

Aus meiner Erfahrung passiert das genau dann, wenn Unternehmen im Recruiting-Prozess Kandidaten nur anhand der fachlichen Skills aussuchen. In der Praxis stellt sich dann heraus, dass die Werte nicht zusammenpassen und sich die Zusammenarbeit schwierig gestaltet.

Manche Unternehmen haben es schon erkannt, aber noch nicht alle. Deshalb wünsche ich mir von Arbeitgebern, umzudenken und freier zu werden. Sich von den reinen Qualifikationen zu lösen, sich den Menschen und sein Potenzial anzuschauen – nicht nur das Papier.

Gleichzeitig geht es darum, jedem Bewerber zu kommunizieren: Wir suchen Mitarbeiter, die sich mit uns identifizieren und die für ihre Arbeit bei uns brennen, die wissbegierig sind und sich weiterentwickeln wollen.

Das Menschliche hat einen hohen Stellenwert, denn die Welt besteht nicht nur aus Fachlichem. Außerdem kann im Lebenslauf viel stehen, was am Ende nicht unbedingt zutrifft.

In einem oder mehreren persönlichen Gesprächen finden beide Seiten – Bewerber genauso wie Unternehmen – heraus, ob sie zueinander passen.

Was können Unternehmen denn tun, um den Top-Kandidaten unter den Bewerbern herauszufiltern?

Bei nicht ganz hoch angesetzten Positionen sollten Arbeitgeber nach dem Vorstellungsgespräch einen Probearbeitstag anbieten. Der Bewerber kann sich einen persönlichen Eindruck machen, wie die Arbeit wirklich ist, was zu seinen Aufgaben gehört und in welchem Team er arbeitet.

Der Probearbeitstag ist somit eine ideale Gelegenheit, falsche Vorstellungen zu eliminieren, die der Kandidat vielleicht von der Stelle hat. Wenn am Ende des Tages beide miteinander den Weg weitergehen wollen, ist das doch perfekt.

Können Tools Recruiting-Prozesse zusätzlich optimieren?

Natürlich sind Recruitings-Tools wie Persönlichkeitstests nicht schlecht. Hier kommt es aber auch auf die zu besetzende Position an. Sie eignen sich zum Beispiel für Fach- und Führungskräfte ab dem mittleren Management, um nochmal auf einer tiefergehenden Ebene zu testen, ob der Kandidat ideal passt.

Allerdings nur als Ergänzung, denn das Vorstellungsgespräch ersetzen sie nicht.

Ansonsten finde ich: Wenn ein Kandidat im persönlichen Gespräch und am Probearbeitstag überzeugt hat, ist das eine gute Bestätigung für das Unternehmen, einen Top-Kandidaten identifiziert zu haben.

In Zukunft werden dann also wohl nicht Algorithmen das persönliche Vorstellungsgespräch ersetzen?

Nein (lacht)! Was ein Unternehmen toll macht, sind seine Mitarbeiter. Daran ändern auch Digitalisierung und Automatisierung nichts. Der Mensch und seine Persönlichkeit zählen.

Matching-Technologien sind praktisch für Unternehmen, um eine Vorauswahl zu treffen. Gerade für solche, bei denen täglich viele Bewerbungen eingehen. Die endgültigen und besten Entscheidungen werden jedoch immer noch von Mensch zu Mensch getroffen.

Vielen Dank Marlene, für das spannende Interview.

Was ist Job-Matching?

Beim Job-Matching geht es darum, den Bewerber zu finden, der mit seinen fachlichen und persönlichen Skills auf eine bestimmte Stelle und/oder zur Kultur des Unternehmens passt.

Mithilfe von Algorithmen läuft dieser Prozess automatisiert ab: Bewerberdaten werden nach vordefinierten Auswahlkriterien sowie statistischen Auswertungen analysiert und Profile erstellt – ähnlich wie bei klassischen Partnerbörsen.

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