Geschätzte Lesedauer: 8 Minuten

Tech boomt. Der Bereich bietet nicht nur spannende Betätigungsfelder, sondern auch Führungspositionen und lange Karrieren. Dennoch ist die Branche immer noch stark männerdominiert. Sylvia Blockx, Nicole Gorton und Dee Robertson von Robert Half erklären, wie Frauen im Technologiesektor Karriere machen und Unternehmen zum Erfolg verhelfen können.

Was ist Ihr Rat an Frauen, die sich für den Technologiesektor interessieren?

Nicole Gorton Gerade zu Beginn der Pandemie stellten Unternehmen aufgrund der Ungewissheit viele Technologie-Projekte ein. Das hatte unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklungsteams und die Bereiche, die mit Transformationsfragen in den Unternehmen betraut waren. Im Jahr 2021 wurden diese Projekte zwar wieder aufgenommen, aber die Unternehmen hatten in den genannten Bereichen plötzlich Fähigkeitslücken. Infolgedessen kam es zu einem regelrechten Einstellungswettlauf auf einem Markt, auf dem das Angebot nicht mit der Nachfrage Schritt halten konnte – insbesondere bei Positionen mit Nischenqualifikationen. Wir mussten unseren Kunden aufzeigen, wie sie ihr Potenzial im Unternehmen heben können, etwa durch kontinuierliche Weiterbildung von Mitarbeiterinnen.

Sylvia Blockx Die Technologiebranche ist schnelllebig. Die Menschen wechseln häufiger ihre Positionen und vor allem ihren Arbeitgeber. Dazu verändert sich die Technologie fortwährend, Arbeitnehmer sehen viele Karrieremöglichkeiten und steile Lernkurven. Denn im Tech-Bereich sollten Arbeitnehmer immer die neuesten Trends und Entwicklungen kennen. Die Pandemie hat unser Leben noch digitaler gemacht, Positionen in der Tech-Branche sind noch begehrter. Unternehmen sollten dies bei Einstellungen bedenken. Denn die Bereitschaft, Neues zu lernen ist genauso wichtig wie die Fähigkeiten, die einer Person zum Zeitpunkt der Einstellung hat.

Dee Robertson Die Pandemie hat den wichtigen langfristigen Trend der zunehmenden Vielfalt im Technologiesektor nicht wirklich gebremst, aber sie hat die Bedeutung der Notwendigkeit beschleunigt, Menschen etwa schnell in Cloud-Technologien weiterzubilden. DEI-Initiativen wie das AWS re/Start-Programm sorgen für diese Weiterbildung und bieten eine zugängliche Plattform für Unternehmen, um diese in ihre Einstellungsprozesse einzubinden. Die flexiblen, virtuellen Arbeitsformen, die als Folge der Pandemie entstanden sind, haben zu einem positiven wirtschaftlichen und kulturellen Wandel geführt.

Warum ist es wichtig, jetzt über „Frauen in Tech“ zu sprechen?

Dee Unternehmen suchen händeringend nach weiblichen Talenten und versuchen, das Geschlechterverhältnis auszugleichen. Im Vereinigten Königreich sind überproportional viele Männer in technischen Berufen tätig. Deshalb ist es für uns von entscheidender Bedeutung, dass Frauen die vielfältigen Möglichkeiten entdecken, die der Tech-Bereich bietet.

Nicole In Australien gibt es mehr Einstiegsmöglichkeiten für Frauen im Technologiesektor. Frauen bringen neben einem technischen Spezialgebiet oft Erfahrungen im Bereich Change oder Projektmanagement mit, dazu können sie in entsprechende Führungsrollen hineinwachsen. Es besteht jedenfalls ein großer Bedarf an weiblichen Führungskräften.

Warum sind weibliche Kandidatinnen für Positionen im Tech besonders geeignet?

Nicole Sie verfügen über wichtige Fähigkeiten. Sie verfügen beispielsweise über emotionale Intelligenz, sind stark in kollaborativer Zusammenarbeit und können Menschen besonders gut durch Change-Prozesse führen. Diese Fähigkeiten helfen dabei, Technologie für andere zu übersetzen und entsprechend zu vermitteln. Auch Kunden leben eine auf Diversität ausgerichtete Unternehmenskultur. Unternehmen werden besser abschneiden, wenn sie in diesen zentralen Fragen wie ihr Kundenstamm agieren. Ohne Frauen in Führungspositionen haben diese Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil.

Sylvia Sylvia Seit der Pandemie haben viele Unternehmen erkannt, dass sie ihren Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung und Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeit einräumen müssen. Dieses Umdenken hilft vor allem Frauen dabei, Familienleben und Vollzeitjob zu vereinbaren und flexibler zu gestalten. Da Frauen anders denken als Männer, glaube ich an eine komplementäre Wirkung, die eine Gleichstellung der Geschlechter im Technologiebereich haben kann. Beide bringen ihre Fähigkeiten mit ein.

Wie können Tech-Unternehmen diverser werden?

Dee Die Unternehmen können sich durch schnelle einfache Anpassungen ein Stück weit selbst helfen: Wenn ein Tech-Unternehmen einstellt, sollte die Stellausschreibung sehr genau und attraktiv für die Gruppe sein, die diese Anzeige adressieren soll. Oftmals werden in einer Stellenanzeige die Anforderungen an die Stelle zu hoch angesetzt, was wiederum Bewerberinnen davon abhält, sich zu bewerben. Wenn ein Unternehmen Wert auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion legt, sollten sie dies deutlich machen. Ein häufiges Problem, auf das ich stoße, wenn Unternehmen auf der Suche nach Berufseinsteigern sind, ist, dass sie die Anzahl der für die Stelle erforderlichen Jahre zu hoch ansetzen, was die Kandidaten davon abhält, sich zu bewerben. Wenn Vielfalt eine wichtige Variable ist, die erhöht werden soll, sollten Menschen ermutigt werden, sich zu bewerben, indem die Unternehmen eine Atmosphäre schaffen, in der man sich willkommen fühlt.

Nicole Erstens müssen Vorstellungsgespräche auf ein diverses Bewerberfeld abgestimmt sein; zweitens sollten klare Parameter festgelegt werden, um einen auf Vielfalt abgestimmten Bewerbungsprozess sicherzustellen; drittens sollten Unternehmen, die die besten Talente mit entsprechendem Potential für sich gewinnen wollen, zu Beginn einen möglichen Karriereweg aufzeigen. Wenn neue Mitarbeiterinnen gefördert und mit den nötigen Fertigkeiten ausgestattet werden, um erfolgreich zu sein, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie bleiben.

Dee Eine auf Diversität ausgerichtete Interviewsituation ist wichtig. Ich habe erlebt, wie Unternehmen dies gut, aber auch schlecht gemacht haben. Eine Interview-Runde auf Unternehmensseite, die die demografische Zusammensetzung des Bewerberfeldes widerspiegelt, führt sodann auch zu positiveren Ergebnissen. Am AWS re/Start-Programm nehmen viele Frauen teil, die nach der Elternzeit ins Berufsleben zurückkehren. Sie sind sehr leidenschaftlich, klug und engagiert, kämpfen aber oft gegen die entstandene Lücke in ihrem Lebenslauf an. Unternehmen können die richtige Botschaft aussenden, um diesen Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu erleichtern; wir wissen, dass ein unterstützendes und vielfältiges Arbeitsumfeld zu produktiveren Teams und einer stärkeren Kultur führt. Allein die Tatsache, dass Unternehmen Bewerbungen von Frauen nach einer Auszeit begrüßt, führt zu einer breiteren und qualitativ hochwertigen Anzahl an Bewerberinnen.

Sylvia In Belgien ermutigen wir unsere Kunden, eine Geschichte um eine Stellenausschreibung zu kreieren, um ein breites Spektrum an Bewerberinnen anzuziehen. Die Stellenbeschreibung gibt oft keinen guten Überblick darüber, was in der Position tatsächlich verlangt wird. Zudem werden die Bewerberinnen ermutigt, ihre Geschichte zu erzählen, die sie womöglich zu einer Bewerbung ermutigt hat. Möchte ein Kunde selbst auf der Grundlage eines Lebenslaufs ausgewählt werden, oder möchte er zuerst seinen Weg zum Unternehmen erzählen können? Dieser Ansatz hat viel Potenzial und wird dazu beitragen, mehr Frauen für den Tech-Bereich zu gewinnen.

Was ist Ihr Rat an Frauen, die sich für den Technologiesektor interessieren?

Nicole Wir empfehlen, sich Verbündete und Mentoren zu suchen. Wenn Frauen wieder in den Beruf zurückkehren und sich beispielsweise um die Kinderbetreuung kümmern müssen, ist ein Unterstützungsnetzwerk sehr wertvoll und ihnen hilft, sich weiterzuentwickeln.

Sylvia Wenn man sich für etwas begeistert, muss man es einfach angehen und darf sich nicht von Vorurteilen abhalten lassen, in die Technologiebranche einzusteigen. In Belgien vergibt Data News seit einigen Jahren eine Auszeichnung für die IKT-Frau (Informations- und Kommunikationstechnologien) des Jahres. Die Auszeichnung wurde ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für Frauen in der Tech-Branche zu schärfen. Es war toll für uns, dabei sein zu können, und es ist schön zu sehen, dass immer mehr Frauen eine großartige Karriere in Tech-Unternehmen machen. Wir als Personalberater spielen eine zentrale Rolle beim Paradigmenwechsel, da wir viele Kandidatinnen treffen, die zwar interessiert sind, aber noch nicht genug über die Möglichkeiten und Chancen wissen.

Dee Kontinuierliches Lernen ist wichtig, besonders im Technologiesektor. Es gibt viele Möglichkeiten, Zugang zu Weiterbildungen und Zertifizierungen zu erhalten. Ein Kurs ist aber noch nicht unbedingt eine Garantie dafür, dass man die erste Stelle bekommt, für die man sich beworben hat. Mein Rat lautet daher: hungrig und hartnäckig zu bleiben, sich weiter fortbilden und fortwährend an Türen zu klopfen, so lange, bis sich eine öffnet. Schulungsprogramme wie AWS re/Start sollen gerade unterrepräsentierten Gruppen helfen, den Sprung in die Technologiebranche zu schaffen. Ich bin stolz darauf, dass unsere Zusammenarbeit mit dieser von Amazon geleiteten Initiative nur positive Auswirkungen auf Bewerberinnen und Unternehmen hat!


Das sind unsere Expertinnen:

Sylvia Blockx ist Managing Director bei Robert Half in Belgien und leitet den Tech-Bereich des Unternehmens in Belux – Interim Management und SA Benelux.

Nicole Gorton ist Director bei Robert Half in Sydney und betreut große Konzerne und die Technologie-Sparte von Robert Half im gesamten asiatisch-pazifischen Raum.

Dee Robertson ist Senior Talent Solutions Manager bei Robert Half in Großbritannien. Sie arbeitet eng mit Amazon im Rahmen des AWS re/Start-Programms zusammen, das unterrepräsentierten Gruppen beim Einstieg in den Technologiesektor unterstützt.