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Holokratie – geläufig auch unter dem englischen Begriff Holacracy – ist eine erst wenige Jahre alte Form der Unternehmensstruktur, die zum Ziel hat, Hierarchien abzubauen. Einige Unternehmen setzen bereits mit Erfolg darauf. Wie sieht dieses Konzept im Einzelnen aus und welche Vorteile lassen sich daraus ziehen?

Was ist Holacracy?

Geprägt wurde der Begriff Holacracy und mit ihm einhergehend die holokratische Unternehmensstruktur vom US-amerikanischen Unternehmer Brian Robertson. Holokratie setzt sich zusammen aus den altgriechischen Wörtern holos (zu Deutsch „vollständig, ganz“) und kratía (zu Deutsch „-kratie, Herrschaft“). Es handelt sich bei Holokratie per Definition also um eine holistische Herrschafts- beziehungsweise Organisationsstruktur, in der alle an der Entscheidungsfindung beteiligt werden.

Holacracy baut inflexible Hierarchien ab und ermöglicht eine effektivere Selbstorganisation. Entscheidungs- und Organisationsprozesse sind auf allen Ebenen transparent, wodurch Unternehmen anpassungsfähiger werden und schneller reagieren können.

Holacracy will ohne Hierarchien auskommen

In einer traditionellen Unternehmensstruktur gibt es eine bestimmte Hierarchie, auch wenn sie heutzutage häufig flach gestaltet ist: Die Geschäftsführung steht über den Abteilungsleitungen; darunter kommen die Teamleitungen, denen schließlich mehrere Mitarbeitende unterstellt sind. In manchen Unternehmen ist die Struktur simpler, in anderen detaillierter, das Prinzip bleibt jedoch gleich.

Ganz anders sieht die holokratische Struktur aus: Hier wird die Entscheidungskraft nicht in Führungsetagen konzentriert, konkrete Titel und Positionen gibt es ebenfalls nicht. Das Unternehmen wird in Kreisen organisiert, in denen Zuständigkeiten und Verantwortungen klar definiert sind. Je nach Größe oder Komplexität des Unternehmens sind diese Kreise wieder untergliedert in kleinere Kreise – allerdings ohne hierarchische Anordnung. Mitarbeitende übernehmen je nach Situation unterschiedliche Rollen.

Mitarbeitende nehmen Rollen statt Positionen ein

Eine Rolle hat ein bestimmtes Ziel sowie konkrete Verantwortlichkeiten und Domänen – bestimmte zugewiesene Orte, Werkzeuge oder ähnliches.

  • Die Rolle „Social Media Specialist“ im Kreis „Social Media“ hätte das Ziel, Personen auf sozialen Netzwerken zu inspirieren und zu aktivieren.
  • Domänen wären die Social-Media-Präsenzen des Unternehmens.
  • Verantwortlichkeiten sind die Erstellung kreativer und ansprechender Beiträge in Wort und (Bewegt-)Bild, Auswertung der Beiträge, Kommunikation mit Usern und gegebenenfalls Zusammenarbeit mit anderen Kreisen wie Redaktion oder Grafik.

Ist nun im Social-Media-Kreis eine Budgetplanung nötig, kann die Person, die gerade noch die Rolle Social Media Specialist eingenommen hat, die Budgetplanung übernehmen und in dieser Rolle die Ziele, Verantwortlichkeiten und Domänen übernehmen. Da der Organisationsprozess transparent ist, ist dazu keine Erlaubnis einer – in der holokratischen Struktur ohnehin nicht vorhandenen – vorgesetzten Person nötig. Zeitraubende Entscheidungsfindung und Kommunikation entfallen.

Rollen sind nicht gleichzusetzen mit Positionen. Die Theorie: Dadurch, dass Angestellte mehrere Rollen erfüllen, müssen sie nicht um ihren Job bangen, wenn eine Rolle durch interne oder externe Entwicklungen wegfällt. Sie konzentrieren sich dann stärker auf ihre anderen Rollen oder erfüllen eine neue Rolle.

Die vier Leitlinien der Holokratie

Damit Holokratie in einem Unternehmen funktionieren kann, ist es unumgänglich, dass sich alle Beteiligten nach festen Leitlinien richten. In seiner „holacracy constitution“ hat Brian Robertson vier Säulen der Holokratie festgelegt:

1. Doppelte Verbindung

Um eine gut funktionierende Kommunikation zwischen den einzelnen Kreisen sicherzustellen, gibt es das Prinzip der doppelten Verbindung.

  • In jedem Kreis ist der sogenannte Lead-Link für die Kommunikation mit den untergeordneten Kreisen zuständig, analog kommuniziert der Rep-Link mit dem nächsthöheren Kreis.
  • Rep- und Lead-Link können je nach Kreisgröße von jeweils einem oder auch mehreren Mitarbeitenden übernommen werden.
  • Auch ein Cross-Link in benachbarte Kreise kann sich bei großen Unternehmen als sehr sinnvoll erweisen.

Diese Links, die auch Vertretung genannt werden, vertreten die Interessen ihres eigenen Kreises im jeweils anderen Kreis und geben Informationen weiter.

2. Trennung von operativen und Steuerungstreffen

Im Holacracy-Modell gibt es zwei Arten von Treffen, die stets voneinander getrennt sind und nach festen Vorgaben ablaufen:

  • Das Tagesgeschäft wird in operativen Treffen geregelt, die auf Unternehmensebene stattfinden. Dem gegenüber stehen die Steuerungstreffen, in denen die einzelnen Kreise selbst ihre Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten organisieren. Themen wie Finanzen, Zeitmanagement und Personal werden in Steuerungstreffen nicht behandelt, um die Entwicklung von Strategien und Ideen nicht zu behindern.

3. Rollenverteilung

In den Steuerungstreffen werden alle Rollen regelmäßig gemeinsam besprochen, präzisiert und gegebenenfalls neu definiert, damit die Zuständigkeiten und Aufgaben stets für alle Angestellten klar sind. Wird eine Rolle zu umfangreich, wird sie aufgeteilt – und wird sie nicht mehr benötigt, wird sie abgeschafft. Dadurch werden Missverständnisse vermieden und alle können ihre Rollen optimal ausfüllen.

4. Integrative Entscheidungsfindung

Jede Person in einem Kreis besitzt ein Stimmrecht – auch die Links aus anderen Kreisen. Dadurch werden alle an der Entscheidungsfindung beteiligt. Das Ergebnis der Entscheidung muss nicht von vornherein ideal sein, aber gut umsetzbar. Stellt sich die gefundene Lösung als nicht praktikabel heraus, kann sie flexibel korrigiert werden. Durch regelmäßige Feedbackschleifen werden Entscheidungen kontinuierlich optimiert.

Kritik am Holacracy-Organisationsmodell

Robertson nennt sein Modell oft ein Betriebssystem für Unternehmen. Ein Unternehmen ist jedoch keine Maschine, die sich so einfach programmieren und berechnen lässt. Unzufriedene Mitarbeitende holokratischer Firmen beklagen, dass sich das System zu wenig auf die Menschen konzentriere, wodurch es schwierig sei, sich in den zugeordneten Rollen oder Kreisen wohlzufühlen. Julia Culen, Ex-Mitarbeiterin einer Wiener Firma, die Holacracy 2012 als Unternehmensstruktur einführte, erklärt beispielsweise in ihrem persönlichen Blog: „Ich hatte das Gefühl, Teil eines Codes zu sein, in einem Algorithmus zu arbeiten, der für Maschinen optimiert ist, aber nicht für Menschen. Anstatt mich ganzheitlicher, selbstorganisierter und leistungsfähiger zu fühlen, fühlte ich mich gefangen.“

Durch Holokratie wird den Angestellten ein hohes Maß an Entscheidungsfreiheit eingeräumt, mit dem nicht alle umgehen können oder möchten. Der holokratischen Entscheidungsfindung liegt auch die Annahme zugrunde, dass Entscheidungen stets basierend auf sachlichen Kriterien gefällt werden und persönliche Ziele, Beziehungen oder anderes außer Acht gelassen werden.

Für welche Unternehmen ist Holacracy geeignet?

Nicht nur in den USA, sondern auch in Europa wird Holokratie in einigen Unternehmen schon erfolgreich umgesetzt, so etwa nach jeweils eigenen Angaben beim Lebensmittel-Onlinehändler mymuesli und beim Schweizer Taschenhersteller Freitag. Holacracy hat also durchaus Potenzial – allerdings kommt es darauf an, ob Unternehmen und Mitarbeiter sich dafür eignen. Besonders für kleine oder mittelständische Unternehmen, die innovativ arbeiten und sich schnell an Veränderungen des Marktes anpassen möchten, ist der holokratische Ansatz interessant.

Große Konzerne sind häufig auf standardisierte Prozesse angewiesen und halten aus Gewohnheit oder Tradition an ihrer Hierarchie und Gesamtstruktur fest. Hier könnte Holacracy dennoch in einzelnen Abteilungen und Teams getestet werden – stattdessen könnte aber beispielsweise auch indirekte Führung ein vielversprechender Ansatz sein.

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